Solarmodule zwischen Bahngleise zu montieren, um darüber grünen Strom zu gewinnen? Klingt absurd und abenteuerlich? Ganz und gar nicht. Das Start-up-Unternehmen Sun-Ways aus der Schweiz (Sitz in Ecublens/Westschweiz) hat sich dieser Idee verschworen und will den bisher ungenutzten Raum zwischen den Bahngleisen zukünftig sinnvoll nutzen. Somit könnten Bahngleise selbst zum Klimaschutz beitragen. Erweist sich das System nach der Erprobungsphase als erfolgreich, könnten zwei Prozent des gesamten Strombedarfs in der Schweiz über die Schiene gedeckt werden.
Somit könnte die Schweiz das erste Land der Welt sein, dass zwischen den Bahngleisen Solarstrom von bis zu einer Terawattstunde (TWh) pro Jahr produziert.
Eine Idee mit viel Potenzial
Bisher ungenutzte Bahnkilometer gibt es aktuell genug. In der Schweiz über 5.000 in ganz Europa über 230.000 und weltweit über eine Million Bahnkilometer. Abziehen müsste man die Streckenabschnitte, wo sich keine Module verlegen lassen, wie in Tunneln oder in Bereichen, die täglich viele Stunden stark verschattet sind. Dennoch, das Potenzial ist riesig, wenn nur 50 Prozent der vorhandenen Fläche mit Solarpanels ausgestattet werden könnten.
Wie funktioniert die Verlegung der Panels?
Zunächst werden die ein Meter breiten Solarelemente in einer Fabrik vormontiert und dann auf einen speziell konstruierten Montagezug verladen. Bei langsamer Fahrt werden die Panels wie ein endloser Teppich zwischen den Bahngleisen ausgerollt.
Liegen die Module im Gleisbett, löst der Zug einen Kolbenmechanismus aus, der die Kollektoren zwischen den Gleisen fixiert. Fachkräfte schließen die Module später manuell ans Stromnetz an.
Die nachfolgende 3-D-Animation zeigt, wie die Verlegung in der Praxis funktionieren soll.
Auf 10 Kilometern Gleisen lassen sich 5.000 Module verlegen. Das entspricht einer Leistung von 2 Megawatt, die zwei Gigawattstunden Strom produzieren können. Die Kosten belaufen sich auf etwa 2,7 Millionen Euro. Sun-Ways ist das erste Unternehmen, das gemeinsam mit der Technischen Hochschule Lausanne ein wieder abnehmbares Kollektorsystem entwickelt hat. Die Module lassen sich jederzeit ganz oder auch teilweise demontieren. Das ist von entscheidender Bedeutung, wenn zum Beispiel das Schleifen der Schienen oder andere Wartungsarbeiten notwendig werden. Der über die Solarpanels erzeugte Strom entlang der Bahngleise kann direkt in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden. So lassen sich Haushalte und Unternehmen mit Strom versorgen. Die Stromgestehungskosten sollen bei etwa 10 Cent pro Kilowattstunde liegen.
Startschuss erfolgt!
Das Pilotprojekt soll im Mai in der Nähe der französischen Grenze auf einem Gleisabschnitt der Neuenburger Verkehrsbetriebe transN (Transports Publics Neuchâtelois) am Neuenburger See in der Nähe des Bahnhofs Buttes gestartet werden. Fünfzig Module sollen dazu auf einer Strecke von 100 Metern verlegt werden. Die Investitionssumme beträgt dafür circa 400.000 Euro. Ein Forschungsinstitut wird dazu die notwendigen Analysen durchführen.
Ganz so einfach ist es doch nicht!
Das neue Verfahren hat definitiv viele Vorteile. So gibt es keinerlei Auswirkung auf Umwelt und Natur, das System benötigt keine Extraflächen und stößt somit auch nicht auf mögliche Bürgerproteste. Und dennoch beinhalten die ambitionierten Pläne einige technische Herausforderungen, die es zu meistern gilt.
So melden einige Kritiker ernsthafte Sicherheitsbedenken an:
So könnten die Solarmodule ein erhöhtes Brandrisiko in Grünanlagen neben den Gleisen darstellen. Was passiert, wenn sich die Verbindung vom Panel zum Gleis löst und das betreffende Modul den Zugbetrieb gefährdet? Wie steht es um den zusätzlichen Lärm, der nicht vom Gleisschotter aufgenommen, sondern von der harten Moduloberfläche reflektiert wird?
Lokführer könnten durch Sonnenlicht, das von der Moduloberfläche gespiegelt wird geblendet werden. Was geschied, wenn Steinschlag Panels beschädigen oder Bahnradabrieb und Bremsstaub die Oberflächen verschmutzen? Im Winter wären Eis- und Schneebelag auf den Kollektoren ein Problem und würde die Energieproduktion stark beeinträchtigen. Darüber hinaus könnte das Überfahren der tonnenschweren Züge Erschütterungen auslösen, die wiederum Mikrorisse in den Kollektoroberflächen verursachen.
Antworten auf viele offene Fragen
Sun-Way bekundet, dass es für viele Sicherheitsbedenken bereits Lösungen gibt, die bereits während der Modul-Entwicklung berücksichtigt wurden.
Zunächst der überaus wichtigste Hinweis: Alle verbauten Module lassen sich wieder problemlos aus dem Gleisbett entfernen. Techniker benötigen nur die Werkzeuge, die sie auch bei den regulären Arbeitseinsätzen verwenden. Eingebaute Sensoren stellen sicher, dass die Kollektoren einwandfrei funktionieren. Reinigen lassen sich die Panels mittels Rundbürsten, die am Ende eines Zuges befestigt werden und die Verschmutzungen auf der Moduloberfläche während der Überfahrt entfernen. Für Regionen mit starkem Schneefall wird ein System entwickelt, das gefrorenen Niederschlag zum Schmelzen bringt. Um mögliche Spiegelungen bei Zugführern zu vermeiden, werden die schwarzen Panels zusätzlich mit einem speziellen Antireflexionsfilter ausgestattet. Mikrorisse oder Steinschlag sollten den speziellen Modulen nichts anhaben können, da sie weitaus widerstandsfähiger sind als herkömmliche Kollektoren.
Sollte die Test- und Erprobungsphase erfolgreich verlaufen, könnte diese Technologie auf dem kompletten Schienennetz der Schweiz zum Einsatz kommen. Da die Klimakrise keinen zeitlichen Aufschub duldet, sehen die Entwickler gute Chancen und ein großes Potenzial in Richtung länderübergreifende Vermarktung. Expandieren könnte man nach Deutschland, Italien, Österreich, USA und nach Asien.